Nicht alles wĂ€chst sich aus: Helmtherapie fĂŒr Babys mit Kopfverformungen am Uniklinikum Graz

Pressemitteilung

Immer hĂ€ufiger treten bei Babys Kopfverformungen auf, die sich durch permanentes Liegen auf dem RĂŒcken verstĂ€rken oder neu entwickeln. Expert*innen am Uniklinikum Graz forcieren die AufklĂ€rung von Eltern, denn ein Gegensteuern ist nur in den Wachstumsphasen im ersten Lebensjahr möglich.

Kopfverformungen, die sich in den ersten Lebenswochen ausprĂ€gen, gehören hĂ€ufig nicht zu den Dingen, die sich vollstĂ€ndig „auswachsen“, stellt Privatdozent DDDr. Michael Schwaiger von der Klinischen Abteilung fĂŒr Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Uniklinikum Graz klar. „Dass sich das immer auswĂ€chst, ist ein Mythos. In der Regel kann sich die Verformung des Kopfes sogar verstĂ€rken, wenn man nicht frĂŒhzeitig gezielt dagegen steuert. Die kindlichen SchĂ€delknochen sind aufgrund des großen Hirnwachstums in diesem Zeitraum sehr leicht formbar.“

Ist der Kopf des Babys erst einmal verformt, rollt er im Liegen immer wieder auf die betroffene Seite. Diese „Lieblingsseite“ flacht dann weiter ab und die Abflachung bzw. Asymmetrie verstĂ€rkt sich. „Das kann so weit gehen, dass auch die Ohren nicht mehr auf gleicher Höhe sind, sich die SchĂ€delbasis verzieht und sich die Stirn einseitig vorwölbt.“ Am LKH-Univ. Klinikum Graz sieht der Experte immer mehr Babys, bei denen eine Therapie der Kopfform klinisch indiziert ist.

Die ersten Wochen sind die wichtigsten

Ursachen, warum sich Verformungen entwickeln, gibt es grundsĂ€tzlich mehrere, dazu zĂ€hlen beispielsweise Wirbelblockaden oder ein muskulĂ€rer „Schiefhals“. Auffallend ist außerdem, dass das PhĂ€nomen von lagebedingten KopfdeformitĂ€ten bei Babys zunimmt. Daher ist es wichtig, Eltern fĂŒr das Thema der Kopfform zu sensibilisieren. Eltern kĂ€men heute zwar schon frĂŒher als noch vor wenigen Jahren, aber trotzdem oft erst dann, wenn die Zeitspanne, in der das Kopfwachstum gesteuert werden kann, knapp wird. „Sind Abflachungen und Asymmetrien mit freiem Auge sichtbar, sollten Eltern das unbedingt abklĂ€ren lassen“, betont Schwaiger.

Vorzeitige Verknöcherung ausschließen

Hinter abgeflachtem oder asymmetrischem Kopfwachstum kann sich nÀmlich auch eine Kraniosynostose, ein vorzeitiges Verknöchern der SchÀdelnÀhte, verbergen. Hier kommt es, im Gegensatz zur lagebedingten KopfdeformitÀt, zu einer Wachstumshemmung im Bereich der vorzeitig verknöcherten SchÀdelnaht. In ausgeprÀgten FÀllen kann dadurch auch die Gehirnentwicklung beeintrÀchtigt werden.

„Das kommt zwar seltener vor als lagebedingte KopfdeformitĂ€ten, ist aber klinisch höchst relevant“, erklĂ€rt Schwaiger. Bei Kraniosynostosen helfen herkömmliche Therapien wie Physiotherapie und Helmtherapie allein nicht. Kraniosynostosen mĂŒssen meist interdisziplinĂ€r in einer Zusammenarbeit der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie mit der Neurochirurgie behandelt werden, um die SchĂ€delknochen umzuformen und die betroffene SchĂ€delnaht zu öffnen. „Auch um eine Kraniosynostose auszuschließen, ist eine frĂŒhe AbklĂ€rung einer auffĂ€lligen Kopfform so wichtig“, sagt der Experte.

FrĂŒhzeitig zur spezialisierten Physiotherapie

Ist die Ursache geklĂ€rt, gibt es verschiedene Maßnahmen, die beim Gegensteuern wirksam sind. „Durch frĂŒhzeitige Physiotherapie gelingt es meist, auf die Kopfform einzuwirken“, weiß Katrin Wedenig, auf Babys spezialisierte Physiotherapeutin linikum Graz. „Physiotherapie ist bei lagebedingten Verformungen das erste Mittel der Wahl. Erst, wenn es innerhalb der ersten vier Lebensmonate nicht gelingt oder diese Zeit verpasst wurde, sollte eine Helmtherapie angedacht werden.“

Kopfasymmetrien sind gut therapierbar, solange der SchĂ€del in seinem Wachstum noch gesteuert werden kann. „Bei einer frĂŒhen Diagnose – idealerweise bereits ab der sechsten Lebenswoche und vor dem vierten Monat – und nur leichten Verformungen reichen oft ein paar Einheiten bei einer spezialisierten Physiotherapeutin, um die Verformung des Kopfes zu beeinflussen“, erzĂ€hlt Wedenig.

Helmtherapie fĂŒr kleine Patient*innen

Pro Jahr therapiert die klinische Abteilung fĂŒr Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgie am Uniklinikum Graz rund 60 Babys mittels Helmtherapie. Die Therapie kann beginnen, sobald das Baby seinen Kopf selbststĂ€ndig halten kann, also etwa ab dem vierten Lebensmonat. Durchschnittlich dauert eine Therapie vier Monate. „Wichtig ist, sich bei der Helmtherapie an Experten ohne kommerzielle Interessen zu wenden“, so Schwaiger. „Man muss den Helm im Therapieverlauf regelmĂ€ĂŸig auf das Wachstum des Kopfes anpassen. DafĂŒr wird der Helm individuell je nach Befund adaptiert.“

Und was sagen die Kleinen dazu? „Neun von zehn Kindern ist der Helm egal“, erzĂ€hlt Michael Schwaiger aus seiner Erfahrung. Eines von zehn „protestiert“ am Anfang. Sollten sich Druckstellen entwickeln, muss der Helm nachjustiert werden. Hin und wieder treten auch AusschlĂ€ge auf, und natĂŒrlich ist es im Winter angenehmer fĂŒr das Kind, den Helm zu tragen, als an heißen Sommertagen.“ GrundsĂ€tzlich gibt es aber wenig Probleme. „Wichtig bei einer Helmtherapie ist es, dass die Eltern dahinterstehen und es wollen. Nur gemeinsam funktioniert es“, erzĂ€hlt Schwaiger.

Die Geschichte von „Helmkind“ Maximilian

Der kleine Maximilian hat seine Helmtherapie schon fast hinter sich. Vermissen wird er seine schicke Kopfbedeckung nicht, meint seine Mutter. Er ist eine der Ausnahmen, er duldet seinen Helm mehr als dass er ihn gerne aufhat. Zudem will Maximilian mit dem Krabbeln anfangen, was ohne Helm auch viel einfacher ist.

Begonnen wurde die Therapie bei Maximilian im Alter von fĂŒnf Monaten. Seine Kopfform hat sich bei dieser Therapie sehr gut entwickelt. Maximilian – er hat einen Zwillingsbruder – kam schon mit sichtbarer Asymmetrie auf die Welt. „Es war bei ihm von Anfang an deutlich zu sehen, von allen Seiten“, erzĂ€hlt seine Mutter. „Er hat auch immer nur nach rechts geschaut. Auf der rechten Seite war dann auch von Geburt an die Nackenmuskulatur verkĂŒrzt.“ Bei Zwillingen, die sich den Platz im Mutterleib teilen, kommen Kopfverformungen hĂ€ufiger vor. Maximilians Mutter ist sich sicher, dass ihr Sohn eines Tages dankbar fĂŒr die Therapie sein wird. „Zwar fragt jeder einzelne, der das Kind mit Helm sieht, ob es krank ist, aber dann sag ich immer: Nein, das machen wir nur, um die Kopfform sanft zu korrigieren.“

In ausgeprĂ€gten FĂ€llen können unbehandelte Kopfasymmetrien bei Kindern auch zu Langzeitproblemen mit dem Kiefer oder der HalswirbelsĂ€ule fĂŒhren.

Bester Erfolg bei frĂŒher Therapie

Katrin Wedenig und Michael Schwaiger ist vor allem eines wichtig: Eltern zu sensibilisieren. Wedenig: „Je frĂŒher man auf lagebedingte KopfdeformitĂ€ten einwirkt, desto besser lĂ€sst sich gegensteuern und umso schneller geht es. Bereits mit vier bis sechs Wochen alten Babys sollte man mit Physiotherapie beginnen. Dazu hat sich in den letzten Jahren auch wissenschaftliche Evidenz aufgebaut. „Ab einem Alter von sechs Monaten bekommt man den Kopf nicht mehr zu 100 Prozent hin“, weiß Wedenig. „Gerade junge Eltern mĂŒssen aufgeklĂ€rt werden, dass sie auf die Kopfform des Kindes achten. Man kann ganz viel schon im Vorfeld tun. Der Helm ist dann schon die letzte
Option.“

Helmtherapie in der Steiermark
Seit 2014 ist die Klinische Abteilung fĂŒr Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Anlaufstelle fĂŒr eine Helmtherapie. Die Überweisung erfolgt ĂŒber den Kinderarzt. Den Großteil der Kosten fĂŒr eine Helmtherapie ĂŒbernimmt die Krankenkasse.

Warum nehmen SchÀdeldeformationen zu?
Seit Anfang der 90er-Jahre gilt die Empfehlung, SĂ€uglinge im Schlaf ausschließlich auf den RĂŒcken zu legen. Das hat international zu einem starken RĂŒckgang des plötzlichen Kindstodes gefĂŒhrt. Im Gegenzug steigt jedoch die Anzahl an Babys mit lagebedingten Kopfverformungen.

Kontakt

Pressestelle des LKH-Univ. Klinikum Graz
Mag. Simone Pfandl-Pichler
Auenbruggerplatz 1, 8036 Graz

Telefon: +43 316 385-87791
Fax: +43 316 385-16942

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