Lebertransplantation bietet vielversprechende Heilungschancen bei metastasierenden neuroendokrinen Tumoren

Pressemitteilung

Neuroendokrine Tumoren sind meist langsam wachsende Neubildungen, die in verschiedenen Organen entstehen können. HĂ€ufig streuen sie in die Leber. In speziellen FĂ€llen ist eine Lebertransplantation eine Therapieoption mit exzellenten Heilungschancen. So auch bei Christian Siegl: Vor rund zwei Jahren erhielt der heute 51-jĂ€hrige Baggerfahrer aufgrund dieser seltenen Indikation eine neue Leber. Bei einem Kontrolltermin am Uniklinikum erzĂ€hlt er, wie es zu der Transplantation kam – und es sich mit neuer Leber lebt.

Es ist 6:45 Uhr morgens in der Transplant-Ambulanz der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Chirurgie. Christian Siegl ist einer der Ersten, die im Wartebereich Platz nehmen. Ihm gegenĂŒber sitzt Lea, 23, die seit einigen Jahren ebenfalls mit einer neuen Leber lebt. Auch Karin Kalcher, die im Rahmen der Nachsorge fĂŒr die Patient*innen die Termine koordiniert, ist zur frĂŒhen Stunde vor Ort. Man kennt sich, scherzt, die Stimmung ist vertraut.
FĂŒr den gebĂŒrtigen Steirer beginnen die Kontrolltage am Uniklinikum Graz frĂŒh. Alle drei Monate fĂ€hrt er von Rudersdorf im Burgenland, wo er mit seiner Frau lebt, nach Graz. Am Nachmittag schwingt er sich auch an diesen Tagen oft noch auf den Bagger – nicht, weil er muss. Er liebt seine Arbeit. „Außerdem hat mich mein Chef so unterstĂŒtzt und mir alle Zeit der Welt gegeben, um gesund zu werden. Da will ich etwas zurĂŒckgeben.“
Eigentlich sollte Siegl ja nicht mehr baggern. Keime im Erdreich stellen fĂŒr immunsupprimierte Menschen ein gewisses Risiko dar. „Das zu hören, war ein großer Tiefschlag fĂŒr mich“, erzĂ€hlt der begeisterte Baggerfahrer. Doch weil er versprochen hat, vorsichtig zu sein und in der ersten Zeit auch in der Kabine Mundschutz getragen hat, erhielt er das Okay. „Weil er es mit so viel Leidenschaft macht“, erklĂ€rt sein Arzt, Robert Sucher, der Leiter der Klinischen Abteilung fĂŒr Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Uniklinikum Graz und eine*r von Siegls behandelnden Ärzt*innen.

Sucher selbst kennt diese Leidenschaft fĂŒr die Arbeit. Beim AufklĂ€rungsgesprĂ€ch vor der OP hat er Christian Siegl mit dem Satz beruhigt: „Ich mache schon so lange nichts Anderes als das, es wird gutgehen. Wenn Sie meine Stimme wieder hören, haben Sie es geschafft!“ Christian Siegl half dieser Satz sehr. Er wusste, da ist einer, der es kann.
All das erzĂ€hlt Christian Siegl nicht ohne RĂŒhrung. Auch wenn er seine Hand auf seinen rechten Oberbauch legt, wo seine neue Leber sitzt, wirkt es, als wĂŒrde er einem guten Freund auf die Schulter klopfen. „Hans“ nennt Christian Siegl seine neue Leber. „FĂŒr mich ist das der Hans. Und von Anfang an habe ich gesagt: Hans, wir packen das!“

Der Weg zur neuen Leber

2019 war bei einer Gesundenuntersuchung ein Schatten auf Christian Siegls Leber entdeckt worden. Die Diagnose: ein neuroendokriner Tumor (NET) in der BauchspeicheldrĂŒse mit Metastasen in der Leber. Der PrimĂ€rtumor in der BauchspeicheldrĂŒse wurde operativ entfernt, auch die Leber hĂ€tte operiert werden sollen, was sich aber wegen der zwar großteils nur stecknadelkopfkleinen, dafĂŒr aber vielen Metastasen als unmöglich erwies. Daraufhin stand eine Lebertransplantation im Raum. „Lebermetastasen sind normalerweise ein Zeichen, dass ein Tumor im gesamten Körper streut. Bei den meisten anderen bösartigen Tumoren – etwa dem Pankreaskarzinom – wĂ€re eine Lebertransplantation keine Option gewesen. Bei einem neuroendokrinen Tumor gibt es jedoch spezielle Kriterien, unter denen eine Transplantation in Betracht kommt“, erklĂ€rt Daniela Kniepeiss, die seit 26 Jahren als Transplantationschirurgin tĂ€tig ist. Diese erfĂŒlle allerdings selten ein Patient, ein bis zwei sind es pro Jahr am UniversitĂ€tsklinikum Graz. Christian Siegl hatte GlĂŒck: „Wenn diese Kriterien erfĂŒllt sind, kann eine Lebertransplantation Patient*innen wirklich heilen. Die Erfolgschancen sind dann gleich hoch wie bei Patient*innen, die wegen einer Leberzirrhose transplantiert werden“, erklĂ€rt Kniepeiss.

Was ist ein NET?

Ein neuroendokriner Tumor ist eine bösartige Neubildung aus neuroendokrinen Zellen, die ĂŒberall im Körper vorkommen. Daher gibt es verschiedene Arten von NET, zu denen im klassischen Sinne gastrointestinale (im Magen-Darm-Trakt) und pankreatische (in der BauchspeicheldrĂŒse) NET sowie NET der Lunge gehören. Krebszellen von neuroendokrinen Tumoren des Verdauungstrakts oder der BauchspeicheldrĂŒse (GEP-NET) gelangen direkt in die Leber, wo sie Metastasen bilden können. Neuroendokrine Tumoren gehören mit 2 bis 4 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern zu den seltenen Erkrankungen. Wird ein NET frĂŒhzeitig erkannt, ist er meist vollstĂ€ndig heilbar. hinweg anbieten zu können.

Dankbarkeit und ein neues LebensgefĂŒhl

Nicht nur mit „Hans“ fĂŒhrt Christian Siegl ab und zu ZwiegesprĂ€che. Bevor er sich am Nachmittag auf den Bagger schwingt, wird er noch kurz bei „seiner“ Kirche gleich am GelĂ€nde des Uniklinikum vorbeischauen. „FĂŒnf Minuten, mehr sind das nicht, aber das ist ein fixes Ritual nach den Kontrollterminen in Graz geworden“, erzĂ€hlt der Vater einer erwachsenen Tochter, der sonst kein regelmĂ€ĂŸiger KirchgĂ€nger ist.

Sein Leben mit neuer Leber ist aber von Dankbarkeit geprĂ€gt. „Ohne meine Frau und meine Familie wĂ€re das alles nicht gegangen, aber auch mein Arbeitgeber hat extrem entgegenkommend reagiert“, erzĂ€hlt er. „Und all die Menschen hier“, sagt er und meint neben Robert Sucher und Daniela Kniepeiss auch Patrizia Constantini-Kump von der Klinischen Abteilung fĂŒr Gastroenterologie und Hepatologie, „die mich all die Jahre hindurch begleitet haben.“

Die Bedeutung der Nachsorge

Die Operation ist bei Organtransplantationen nur ein Teil der Therapie. „Entscheidend fĂŒr den langfristigen Erfolg ist die Nachsorge, die sich ĂŒber Jahre und Jahrzehnte erstreckt“, erzĂ€hlt Kniepeiss. Diese Nachsorge umfasst die Kontrolle der Leber- und anderer Laborwerte alle drei Monate, ein umfassendes Screening einmal pro Jahr, aber auch die medikamentöse Anpassung der Immunsuppression. Lebertransplantierte brauchen vergleichsweise wenig Immunsuppression und haben selten Infekte. „Die Leber ist immunologisch sehr gutmĂŒtig“, sagt Kniepeiss. „Wir schauen daher, dass wir unseren Patient*innen so wenig Immunsuppression wie möglich geben, weil diese natĂŒrlich auch Nebenwirkungen hat.“ Vorige Woche hatte Christian Siegl aber doch einen Infekt erwischt. „Ich habe angerufen, und fĂŒnf Minuten spĂ€ter bekam ich schon die Auskunft, welche Medikamente ich nehmen darf und welche nicht“, erzĂ€hlt Siegl. Kniepeiss bestĂ€tigt, dass die Transplant-Ambulanz fĂŒr transplantierte Patient*innen immer die Anlaufstelle fĂŒr alle gesundheitlichen Fragen bleibt.

Ein Leben ohne große EinschrĂ€nkungen

EinschrĂ€nkungen hat Christian Siegl nahezu keine. „Selten, aber doch, esse ich auch einen Speck.“ Insgesamt lebt er aber gesund und fĂŒhlt sich dabei wohl. „Alkohol und eine transplantierte Leber – das passt fĂŒr mich einfach nicht zusammen“, sagt er. Hans soll ja schließlich 120 Jahre alt werden und bekommt die besten Voraussetzungen dafĂŒr, das gemeinsame Leben mit Christian Siegl zu „packen“.

Zahlen & Fakten

An der Klinischen Abteilung fĂŒr Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie an der UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Chirurgie am Uniklinikum Graz wurden von 2000 bis 2024 rund 500 Leber-Transplantationen durchgefĂŒhrt. Neben Transplantationen der gesamten Leber werden auch Teil-Lebertransplantationen sowie Transplantationen nach Leber-Lebendspenden bei Erwachsenen und Kindern durchgefĂŒhrt. Der Eingriff dauert zwischen vier und sechs Stunden, kann aber bei bereits voroperierten Patient*innen auch wesentlich lĂ€nger dauern. Die Leber besitzt als einziges Organ die FĂ€higkeit, sich zu regenerieren. Bei Spender*innen erreicht sie bereits nach vier Wochen fast wieder ihr normales Gewicht. Rein als Organ kann die Leber bis zu 120 Jahre alt werden.

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