Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-OPs unter Mikroskop
Alexander ist zwar erst 13 Monate alt, hat aber bereits zwei groĂe Operation hinter sich. Er ist eines von ĂŒber 100 Kindern in Ăsterreich, die pro Jahr mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren werden. Bei dem kleinen Steirer sorgte wĂ€hrend der OP ein Mikroskop fĂŒr eine perfekte Sicht des Chirurgen. Diese Operationstechnik wird derzeit nur am LKH-Univ. Klinikum Graz angewandt. Die davor verwendete Lupenbrille hat somit praktisch ausgedient. Und auch Alexanders Fehlbildung ist nun Geschichte. (03. Juli 2020)
Eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist die hĂ€ufigste Fehlbildung bei Neugeborenen in Ăsterreich. 100 bis 130 Kinder werden pro Jahr mit einer Spalte geboren. Bereits vor Alexanders Geburt im Mai 2019 wussten seine Eltern, dass er diese Fehlbildung haben wird. Alexanders Mama, Bianca Gletthofer, ist diplomierte Pflegerin, die Diagnose war im ersten Moment trotzdem ein groĂer Schock. âAber DDr. Michael Schwaiger, der uns als Experte empfohlen wurde, konnte uns beruhigenâ, erzĂ€hlen die Eltern. Als Alexander vier Monate alt war, wurde seine Lippe in einer mehrstĂŒndigen Operation verschlossen, etwa ein halbes Jahr spĂ€ter folgte der Gaumenverschluss. âDas Stillen haben wir eine Woche nach der Geburt aufgegeben. Mit einer Spezialflasche hat das Trinken aber gut geklappt und nach dem ersten Eingriff war das FlĂ€schchentrinken fĂŒr Alexander viel leichterâ, erinnert sich Mama Bianca.
Operiert wurde Alexander von Mund-Kiefer-Gesichtschirurg DDr. Michael Schwaiger, der eine feinere Operationstechnik aus GroĂbritannien nach Graz gebracht hat. Seit gut einem Jahr werden an der Klinischen Abteilung fĂŒr Mund-, Kiefer-, und Gesichtschirurgie alle Kinder mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (LKGS) mit Hilfe eines Mikroskops operiert. Diese OP-Technik wird in Ăsterreich derzeit nur in Graz verwendet. âBei Alexander sind beide Eingriffe perfekt verlaufen, sodass er aus heutiger Sicht keinerlei Probleme beim Sprechen, Schlucken oder Atmen haben wirdâ, freut sich der engagierte Chirurg.
Erfahrene Chirurgen hinter dem Okular
Univ.-Prof. DDr. Wolfgang Zemann, Leiter der Klinischen Abteilung fĂŒr Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, möchte in Bezug auf die LKGS-Behandlung folgende Punkte betonen: âEs gibt derzeit kein weltweit standardisiertes Behandlungskonzept fĂŒr LKGS-Kinder. In Graz entspricht die zeitliche Reihung der Operationen, mit dem Verschluss der Lippe im Alter von drei Monaten und des Gaumens mit acht bis 12 Monaten nach wie vor dem hier langjĂ€hrig erprobten Konzept. In nur einer Operation kann niemals alles korrigiert werden. Das wĂ€re fĂŒr die kleinen Patienten viel zu belastend und verbessert auch nicht das Ergebnis. Aufgrund der Erfahrungen aus GroĂbritannien, die Dr. Schwaiger sammeln konnte, haben wir uns aber dafĂŒr entschieden, die Eingriffe nur mehr unter Mikroskop mit verfeinerter Operationstechnik durchzufĂŒhren, da wir uns dadurch eine signifikante Steigerung der BehandlungsqualitĂ€t erwarten.â
Ein Mikroskop im Operationssaal reicht aber natĂŒrlich nicht. Es erfordert zusĂ€tzlich einen erfahrenen Chirurgen hinter dem Okular. Durch die VergröĂerung kann die vorhandene Muskulatur passgenau in die anatomische korrekte Position gebracht werden. âMit der klassischen Technik ist dies in der PrĂ€zision nicht möglichâ, erklĂ€rt Schwaiger, der die neue Technik am Guyâs and St. Thomasâ Hospital in London kennengelernt und bereits 20 Kinder in Graz operiert hat: âOhne Mikroskop besteht die Gefahr, dass die feinen, kleinen MuskelstrĂ€nge nicht exakt verbunden werden oder die Schleimhaut verletzt wird. Dank Mikroskop kann man viel exakter arbeiten als beispielsweise mit der Lupenbrille.â
Sprachverbessende Operationen
Die Erfahrungen zeigen bereits jetzt, dass die Kinder weniger Restlöcher im Mundraum entwickeln und auch ihr Gaumen lĂ€nger ist, was beim Sprechenlernen enorm hilft. 15 bis 20 Prozent der Kinder brauchten frĂŒher zusĂ€tzlich eine sprachverbessernde Operation, mit der neuen Mikroskop-Technik sind es weniger als fĂŒnf Prozent.
Auch bei den sprachverbessernden Eingriffen wird am Klinikum Graz ein Verfahren verwendet, das Schwaiger aus GroĂbritannien mitgebracht hat. âBeim Eingriff selbst handelt es sich um eine funktionelle Operation, das heiĂt, wir versuchen die Gaumenmuskulatur des Kindes anzupassen. Bei Lauten wie ,Tâ und ,Kâ schlieĂt sich im Normalfall das Gaumensegel. Bei Patienten mit einer LKGS schlieĂt das Gaumensegel nicht vollstĂ€ndig und Luft entweicht ĂŒber die Nase, was man besonders bei diesen Lauten hört,â erklĂ€rt Schwaiger. âBei der neuen Technik wird die Gaumenmuskulatur ein paar Millimeter nach hinten verschoben, damit sich der Hohlraum schlieĂt und die Laute ordnungsgemÀà gebildet werden können,â ergĂ€nzt Schwaiger.
Gelungene Eingriffe
Ob T und K auch Alexander Schwierigkeiten bereiten werden, kann man derzeit noch nicht 100prozentig sagen, denn sein Lieblingswort âMamaâ kommt ganz ohne diese Konsonanten aus. Nachdem er aber begeistert Musik hört und dazu tanzt, wird es wohl nicht lange dauern, bis er bei den Liedern mitsingt. Dank seiner ersten beiden Operationen mit Mikroskop, stehen die Chancen jedoch gut, dass Ts und Ks gelingen. Mama Bianca hofft natĂŒrlich, dass ihr kleiner Sohn keinen sprachverbessernden Eingriff brauchen wird. Generell möchten ihr Mann Erik und sie betroffenen Eltern Mut machen: âNatĂŒrlich macht man sich als Eltern immer groĂe Sorgen, aber es wird besser und am Ende wird alles gut.â
Klinikum Graz: einziges Zentrum fĂŒr LKG-Spalten in der Steiermark
Das LKH-Univ. Klinikum Graz ist das einzige Zentrum fĂŒr LKG-Spalten in der Steiermark. Hier wird die gespaltene Lippe verschlossen, wenn das Kind zirka drei Monate alt ist, die Operation zum Gaumenverschluss erfolgt mit acht bis 12 Monaten.
Am Klinikum wurden bis jetzt 20 LKGS-Patienten mit der neuen Operationstechnik mit MikroskopunterstĂŒtzung operiert. Dadurch kann die Gaumenmuskulatur wesentlich besser korrigiert werden. Dank dieser Technik sollen die Kinder besser sprechen lernen und weniger Folgeoperationen benötigen.
Die Technik des Gaumenverschlusses unter dem Mikroskop wurde Anfang 2000 in GroĂbritannien von Brian Sommerlad entwickelt und hat sich bisher nur in England und den skandinavischen LĂ€ndern durchgesetzt. In Ăsterreich gibt es nur wenige Zentren, in denen LKGS operiert werden, wobei Graz derzeit das einzige ist, in dem diese neue OP-Technik mit MikroskopunterstĂŒtzung zum Einsatz kommt.
Durch die neuen technischen Möglichkeiten und die positiven RĂŒckmeldungen, ist in Graz die Schaffung eines eigenen âSpaltboardâ geplant: Hier sollen Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, HNO-FachĂ€rzte, Kinderradiologen, LogopĂ€den und KieferorthopĂ€den eng zusammenarbeiten und fĂŒr jeden Patienten den passenden Behandlungsplan zusammenstellen.
In der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie nahm Graz schon immer eine Vorreiterrolle ein. So ging Univ.-Prof. Dr. Heinrich Köle bereits in den 1970ern mit innovativen Operationsmethoden zur Korrektur von Kieferfehlstellungen neue Wege.
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