„Manche Kinder brauchen ein komplett neues Immunsystem“

Pressemitteilung
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Mit durchschnittlich acht Stammzelltransplantationen bei Kindern und Jugendlichen pro Jahr ist die Klinische Abteilung fĂŒr PĂ€diatrische HĂ€mato-Onkologie heute eine bedeutende Adresse fĂŒr Stammzelltransplantationen in Österreich. Von der Expertise in Graz erzĂ€hlt auch die Geschichte des kleinen Renas, dessen Leben schon mehrfach am seidenen Faden hing.

Der Spezialist fĂŒr pĂ€diatrische Stammzelltransplantation Univ.-Prof. Wolfgang Schwinger und sein kleiner Patient | ©LKH-Univ. Klinikum Graz / Marija Kanizaj

Wer den kleinen Buben vor sich sieht, sieht ein richtiges kleines „Bröckerl“. Neugierig absolviert er das Fotoshooting anlĂ€sslich seiner Entlassung aus dem Krankenhaus –nach einer wahren und beispiellosen Odyssee zwischen Leben und Tod. Gerade noch rechtzeitig hat die Fotografin das Team der Klinischen Abteilung fĂŒr PĂ€diatrische HĂ€mato-Onkologie auf Position, noch lĂ€sst sich Renas ein LĂ€cheln entlocken, doch bald wird sich sein Hunger melden, wie Nadine Hafner, Stationsleiterin, lachend vorausahnt. Mehrere Monate war Renas stationĂ€r Patient, viele Herzen hat er in dieser Zeit erobert, sein Appetit ist nur eines der Zeichen, dass es ihm gut geht.

Am 7. Februar 2024 landete der Rettungshubschrauber aus dem LKH Villach auf dem Dach der Kinderklinik in Graz, an Bord der knapp zwei Monate alte, hochfiebernde SĂ€ugling. „Der Kollege in KĂ€rnten, Primarius Robert Birnbacher, hatte bei Renas gottseidank sofort den genau richtigen Verdacht“, erzĂ€hlt Univ.-Prof. Wolfgang Schwinger, Leiter des Transplant-Teams an der Klinischen Abteilung fĂŒr PĂ€diatrische HĂ€mato-Onkologie. Dass dieser so schnell den Transfer nach Graz veranlasst hat, ist das erste PuzzlestĂŒck des GlĂŒcks, das Renas von einem todkranken zu einem gesunden Kind hat werden lassen. Renas Fieber war damals nicht zu senken, er war in einem schlechten Zustand, es war knapp.

Renas (Mitte) verdankt sein Leben prÀziser interdisziplinÀrer Teamarbeit: Transplantationsmediziner*innen, Intensivpflege, Pulmolog*innen, Physiotherapeut*innen, Medizinisch-Technischer Dienst u. v. m. sind Teil des Ganzen und jeder davon unverzichtbar | ©LKH-Univ. Klinikum Graz / Marija Kanizaj

Jede Infektion ist potenziell tödlich

Wie sich in Graz herausstelle, litt das Kind nicht nur an einer akuten RSV-Infektion, sondern tatsĂ€chlich auch an einer sehr seltenen angeborenen Stammzellkrankheit (mehr Info dazu in der Infobox). In Renas Fall war das hohe Fieber, verbunden mit der Atemwegsinfektion, der Grund, warum ihn seine Mutter in das LKH Klagenfurt brachte. „Dazu kam schrilles Schreien, er war starr und steif“, erzĂ€hlt Wolfgang Schwinger. In Graz gelandet, wurde alles getan, um Renas Leben zu retten. Seine Eltern wurden dennoch darauf vorbereitet, dass es ihr Kind nicht schaffen könnte. „Er wurde intubiert, erhielt eine antivirale Therapie – die Medikamente dafĂŒr mussten in Kanada angefordert werden – und schließlich eine Chemotherapie. Letztere, weil Renas eigenes, krankes Immunsystem komplett ausgeschaltet werden musste. „Bevor man gesunde Stammzellen transplantieren kann, muss das gesamte erkrankte blutbildende System beim EmpfĂ€nger zerstört werden. Danach wird es durch die Stammzellen des Spenders völlig neu aufgesetzt“, erklĂ€rt Schwinger den Prozess.

Was ist eine FamiliÀre HÀmophagozytÀre Lymphohistiozytose?

Die FamiliĂ€re HĂ€mophagozytĂ€re Lymphohistiozytose (FHL) ist eine seltene, meist tödlich verlaufende Erkrankung des Immunsystems. Die Krankheit wird rezessiv vererbt. Aus scheinbar völliger Gesundheit heraus kommt es ein paar Monate nach der Geburt, seltener auch erst nach Jahren, zur Überaktivierung der „Fresszellen“ (auch Makrophagen) des Immunsystems. „Fresszellen“ haben eigentlich die Aufgabe, Krankheitserreger etc. zu eliminieren. Bei der FLH vernichten sie gesunde Blutzellen und wandern in Organe wie Milz, Leber und das Zentralnervensystem ein. Auslöser der klinischen Symptome sind meist „banale“ virale Infekte. Die Krankheit kann ausschließlich durch eine Stammzelltransplantation geheilt werden.

Seltene angeborene Stammzellkrankheit

Dass der heute neun Monate alte Bub so krĂ€ftig und fröhlich ist, grenzt an ein Wunder. „Er hat schon ganz anders ausgesehen“, erzĂ€hlt Schwinger, der von seinem kleinen Patienten sichtlich begeistert ist. Das Kind habe bereits mehr GlĂŒck (im UnglĂŒck) gehabt als man sonst oft fĂŒr ein ganzes Leben braucht. FĂŒr das Transplant-Team an der Uniklinik Graz sticht die Geschichte von Renas aus den ohnehin immer dramatischen Krankengeschichten heraus – aufgrund ihrer besonders vielen Höhen und Tiefen. Renas Immundefekt nennt sich „FamiliĂ€re hĂ€mophagozytische Lymphohistiozytose“. Weltweit gibt es von diesem Typ nur ein paar tausend registrierte FĂ€lle. Renas Schwester ist im Babyalter gestorben, der Bruder ist gesund. Bis zur letztlich rettenden Stammzelltransplantation – sie wurde auf der Intensivstation der Univ.-Klinik fĂŒr Kinder- und Jugendheilkunde durchgefĂŒhrt – war es ein langer Weg. „Auch dort hat das Team der Ärzt*innen und der Pflege Großartiges geleistet. Ohne das Team der Intensivstation wĂ€re Renas nie zu uns gekommen, weil er die Therapie nicht ĂŒberlebt hĂ€tte“, erzĂ€hlt Schwinger.

Was ist eine Stammzelltransplantation?

Die Stammzelltransplantation ist eine Therapieoption zur Behandlung von Patient*innen mit bösartigen Erkrankungen, diversen angeborenen Stoffwechseldefekten, Autoimmunerkrankungen sowie angeborenen oder erworbenen Defekten des blutbildenden Systems. FĂŒr diese Patient*innen ist die Stammzelltransplantation oft die einzige oder letzte Möglichkeit ihr Leben zu retten.

GrundsÀtzlich unterscheidet man zwischen autologer (Transplantation eigener Stammzellen) und allogener (Transplantation fremder Stammzellen) Stammzelltransplantation. Die autologe Stammzelltransplantation wird zur Behandlung von soliden Tumoren sowie zum Re-Setting des Immunsystems bei Autoimmunerkrankungen eingesetzt. Patient*innen mit angeborenen Defekten des blutbildenden Systems, LeukÀmien oder Tumoren, bei denen ein immunologischer Effekt eines neuen (allogenen) Immunsystems gegen verbliebene Tumor-/LeukÀmiezellen notwendig ist, werden einer allogenen Stammzelltransplantation unterzogen.

Vor 55 Jahren wurde in den USA die erste erfolgreiche Stammzelltransplantation bei einem Kind mit LeukĂ€mie durchgefĂŒhrt, ein Jahr davor wurde ein Kind mit einem Immundefekt erfolgreich behandelt. FĂŒr manche Erkrankungen ist die Stammzelltransplantation bis heute die einzige Option zur Heilung. Einen passenden Spender zu finden, ist die Voraussetzung dafĂŒr. Hierzulande gelingt das bei rund 90 Prozent der Betroffenen. Trotz weltweit rund 42 Millionen registrierter potenzieller Spender*innen lassen sich fĂŒr rund zehn Prozent keine passenden Stammzellen finden.

Stammzelltherapie im spezialisierten Zentrum

Doch Renas lebt. Schwinger: „Bei dieser Krankheit gibt es nur Schwarz oder Weiß. Das Kind ĂŒberlebt und ist dann gesund. Oder es stirbt. Renas Vorsehung war es zu leben.“
Dass sich die „Vorsehung“ erfĂŒllen kann, dafĂŒr hat aber auch die Spitzenmedizin ihren Teil beigetragen. „FĂŒr Renas fand sich sogar ein Stammzellenspender innerhalb Österreichs“, unterstreicht Wolfgang Schwinger die Tatsache, dass Renas viel GlĂŒck hatte. Aber eben nicht nur GlĂŒck, sondern auch ein Zentrum, in dem Kinder wie er eine Chance haben. An der Klinischen Abteilung fĂŒr PĂ€diatrische HĂ€mato-Onkologie der Univ.-Klinik fĂŒr Kinder- und Jugendheilkunde, einem auf die Behandlung von Kindern mit immunologischen Erkrankungen spezialisiertem Zentrum, werden Kinder aus der gesamten Steiermark, aus ganz KĂ€rnten und aus dem sĂŒdlichen Burgenland behandelt. „Ein komplett neues Immunsystem gibt es nicht ĂŒberall, dafĂŒr kommen die Kleinen zu uns.“

Renas darf jetzt nach Hause, muss aber zweimal pro Woche zur Kontrolle kommen. „Wir gehen davon aus, dass er ein ganz normales Leben vor sich hat.“

Wo kann man sich als Spender*in melden?

Rotes Kreuz
Unter www.roteskreuz.at/stammzellen kann man einen kostenlosen WattestĂ€bchen-Testkit anfordern. Der fĂŒr die Registrierung als Stammzellspender*in notwendige Wangenabstrich kann unkompliziert daheim erledigt werden.

Verein Geben fĂŒr Leben
Weitere Infos zur Stammzellenspende, Typisierungsaktionen und Anforderung des Typisierungssets fĂŒr daheim unter: www.gebenfuerleben.at.

UniversitĂ€tsklinik fĂŒr Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin
Auenbruggerplatz 48, 8036 Graz
Infos: www.uniklinikumgraz.at/ubt/spender
Kontakt: stammzellenspende.graz@uniklinikum.kages.at

Presseanfragen

Pressestelle des LKH-Univ. Klinikum Graz
Mag. Simone Pfandl-Pichler
Auenbruggerplatz 1, 8036 Graz

Telefon: +43 316 385-87791
Fax: +43 316 385-16942

simone.pichler@uniklinikum.kages.at

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